Rüdiger Plantiko

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Es gibt mehrere Stellen des Evangeliums, in denen vor dem Verlangen nach Zeichen und Wundern gewarnt wird. So etwa:
Da antworteten etliche unter den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollten gerne ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen, und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. (Mt 12,38-39)
Das "Zeichen des Propheten Jona", der sich drei Tage im Bauch eines Walfischs befand und dann wieder ausgespien wurde, ist eine Anspielung auf die Passion und Auferstehung.

Warum aber diese harsche Ablehnung von Zeichen und Wundern? Wie ist das zu verstehen? Spielen nicht Zeichen und Wunder im heutigen christlichen Glaubensleben eine grosse Rolle?

Nach meiner Ansicht sind hier nicht die Zeichen gemeint, in denen der Gläubige einen sanfte, unaufdringliche Art von spiritueller Anleitung wahrnimmt. Auch wird die Existenz von Wundern, also Phänomenen, die den Gesetzmässigkeiten der physischen Welt zuwiderlaufen, durch diese Schriftstelle nicht verneint. Im Kontext gesehen, geht es vor allem um eine Haltung.

Kritisiert wird die Haltung, dass man Zeichen und Wunder als Beweis sehen will: Wenn man sich also mit verschränkten Armen hinstellt und etwa sagt: "Soll sich doch Gott zeigen, gerade hier und jetzt. Er ist doch angeblich allmächtig, also könnte er sich in Form einer kleinen rosaroten Wolke manifestieren, hier vor meinen Augen schweben und mir Rede und Antwort stehen."

Diese Haltung, die nach dem definitiven Beweis verlangt, ist das, was abgelehnt wird. Ein solcher zwingender Beweis, gewissermassen die Immanentisierung der Transzendenz, wäre der Tod unserer Freiheit, und auf die kommt es Gott offenbar an. Sonst hätte er uns auch, wie die Atheisten gern argumentieren, von vorneherein das Feature einbauen können, dass wir keine Sünde begehen, und es wäre ihm und uns viel Mühe erspart geblieben. Es ist die Haltung der Bequemlichkeit, man möchte das Resultat vorgesetzt bekommen. Dagegen ist das zu halten, was Jesus dem Thomas sagte:

Sei nicht ungläubig, sondern gläubig. (Jo 20,27)
Das heisst, öffne deinen Geist, verschliesse dich nicht apodiktisch vor der Transzendenz, kapsele dich nicht ein in der Immanenz.
Veröffentlicht: Dienstag, den 2. August 2011