Rüdiger Plantiko

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Καλὸν εν παντὶ τὸ ἴσον (schön ist in allem das Gleiche), heißt es im Fragment B102 des Vorsokratikers Demokrit von Abdera. Daran mußte ich denken, als ich in der schönen Einführung von P. Martin Ramm (FSSP) in die katholische Messe folgendes las:

Vielleicht mag es in einer sehr kurzlebigen und nach immer neuen Abwechslungen haschenden Zeit ungewohnt erscheinen, am Altar Tag für Tag der gleichen Ordnung zu folgen. Wer sich aber auf die Logik ständiger Abwechslung einlässt, gerät bald in den Zwang, kreativ sein und immer Neues ‚bieten‘ zu müssen. Wir sind überzeugt, daß auch der heutige Mensch sich im Grunde nach einer festen Ordnung sehnt und inmitten des ständigen Wandels gerade in dieser Form der Liturgie einen sicheren Halt, eine Quelle inneren Friedens und ein Stück geistige Heimat finden kann.

Im hellenistischen Denken dachte man Zeit nicht linear wie wir heute, sondern zyklisch. Mit Hesiod (und sicher auch schon früher) sah man die Geschichte eingerahmt in eine Folge von katastrophalen Weltbränden und Weltfluten, die immer wieder einen Nullpunkt setzen, von dem es es von neuem losgeht. Der griechische Begriff "Aion" ist besser mit Weltzeit als mit Ewigkeit übersetzt und enthielt von Anfang an die Idee des Zyklischen in sich. Das saeculum ist auch eher ein Zeitenkreis, nur so ergibt die Formel per saecula saeculorum einen Sinn: über alle Zeitenkreise hinaus, die Zeit selbst transzendierend. Auch die Theorien, daß die verschiedenen Staatsformen immer wieder ineinander übergehen und sich in einem großen Kreislauf aneinanderreihen, zeugen von diesem zyklischen Denken. Daher ist auch Nietzsches Begriff von der "Ewigen Wiederkehr" im Kern zutiefst klassisch-hellenistisch (bei ihm ist er nur kombiniert mit einer materialistisch-deterministischen Weltsicht, was seiner Vision das Bedrückende und Ausweglose gibt). Für die alten Griechen hatte aber die Ewige Wiederkehr nichts Beängstigendes oder Beklemmendes, sondern im Gegenteil etwas Beruhigendes. Die Seele erfreut sich am Zyklus, der uns gleichnishaft in der Natur auch im Jahreslauf vorgeführt wird. Sie erfreut sich daran, weil dieses Zyklische ein Abbild oder Zeichen des Ewigen im Irdischen ist. Es erhebt die Seele, sich in solche Zeichen hineinzuversetzen, die das rein Irdische, in der materiellen Welt immer mit dem Zufall und der Unsicherheit Behaftete, sprengen.

Pater Ramm preist aus diesem Grunde die sich (im wesentlichen) immer gleich gebliebene Alte Messe: sie komme eben diesem Bedürfnis des Menschen entgegen, der in sich die Sehnsucht nach dem Ewigen verspürt, was in dieser Welt durch ein immer Wiederholtes, sich gleich Bleibendes, versinnbildlicht wird. Dem stünde das moderne Nachjagen nach dem immer noch Neueren gegenüber, nach der Sensation, die alle bisherigen Sensationen noch überbietet, nach der Erkenntnis, die alle früheren Erkenntnisse "überholt", die Abwertung all dessen, was früher war, der Glaube an eine immer weiter fortschreitende Zeit, der Glaube der Modernisten, man müsse "die Menschen da abholen, wo sie heute stehen", man müsse "mit der Zeit gehen", "alte Zöpfe abschneiden" usw., und ihre Milchmädchenrechnung, dann würden sich die Kirchen schon wieder füllen. Es ist dies eine Gier, die in dieser modernistischen Denkart selbst nie gestillt werden kann: da geht es immer nur weiter, die Frucht "fault, eh' man sie bricht" (Faust), der Genuß ist schon verdorben, wenn man nach ihm hascht (denn der neue, bessere Genuß, der den gegenwärtigen überholen wird, klopft immer schon an die Tür). Das ist die hektische, unruhige Lebensart unserer Zeit. Sie mündet schließlich ins Nichts, denn jedes Etwas, das sich dem Nichts entgegenstellen könnte, wird ja in Zukunft durch ein neues Etwas überholt. Es gibt dabei, wieder mit Faust gesprochen, niemals etwas, "das den Durst auf ewig stillt" - man könnte auch umformulieren: den Durst nach dem Ewigen. Es bleibt alles, wie es ein Prediger vor Jahrtausenden schon zusammenfasste, ein Haschen nach Wind.

Veröffentlicht: Sonntag, den 9. April 2017