Rüdiger Plantiko

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In den sozialen Medien macht das folgende Porträt eines christlichen Predigers die Runde und soll zu allgemeinem Spott einladen:

Mir ist aber gar nicht nach Spott zumute. Leute wie dieser Prediger sind vielleicht manchmal etwas schwärmerisch, und als Spaßbremse auf Parties ebenso unbeliebt wie auf Kirchentagen. Aber sie haben eine ernste und ernstzunehmende Botschaft, die schon auf der vorchristlichen, gewissermaßen rein natürlichen Ebene jedem Menschen zumindest verständlich - und jedenfalls keineswegs lächerlich - sein sollte.

Was soll diese Warnung vor der Hölle? Die Hölle ist Ausdruck des absoluten Scheiterns. Wenn nicht alles im Leben völlig beliebig, wenn nicht alles reine Geschmackssache ist, wenn nicht die Wahrheit völlig gleichberechtigt als reine Meinung neben dem Irrtum steht, wie es der modische Relativismus gebietet, sondern wenn es eine Wahrheit gibt, etwas, das wirklich und unverbrüchlich und für alle Zeiten wahr ist – und wenn nicht das Gute gleichwertig neben dem Bösen steht, sondern eine Stimme des Gewissens in uns gelegt ist, die uns ganz natürlich nach dem guten Handeln streben läßt, dann gibt es auch Verbindlichkeit, einen schicksalsgegebenen Lebens-Sinn, den es zu erfüllen gilt, den Auftrag, ein gottgefälliges, also gutes Leben zu führen - in der christlichen Sprache ausgedrückt: "der Sinn des Lebens ist, in den Himmel zu kommen." Es geht nicht darum, sich diesen Himmel auszumalen, sondern sich das Leben als ein vom Ende her gesehen erfülltes, frommes und gottesfürchtiges Leben vorzustellen.

Sobald man aber einen solchen Auftrag eingesteht, gibt es auch das Risiko des Scheiterns. Es gibt die Möglichkeit, daß man sein Leben, wenn man vom Ende her auf es zurückblickt, verpfuscht hat. Und nicht etwa weil man die gottgeschenkten Begabungen nicht entfaltet hätte, mit denen man für dieses Leben ausgestattet wurde (da landen wir nur zu bald in der Falle der "Selbstverwirklichung" als Selbstvergottung, oder in dem nicht auszuhaltenden Druck, für schlichtweg alles in unserem Leben selbst zuständig und verantwortlich zu sein). Nicht in der "maximalen Ausschöpfung des Potentials" gescheitert, sondern viel tiefer: man kann grundlegend an seinem Leben scheitern, weil man sich bewußt, beharrlich und entschlossen der Stimme für das Gute und das Wahre verweigert hat - der Stimme, die die Sehnsucht nach dem Göttlichen in uns erwecken will.

Der Prediger will uns sagen: wirf Dein Leben nicht weg - es ist unglaublich kostbar! Jeder einzelne Mensch ist ein einzigartiger, unverwechselbarer Entwurf Gottes! Glaube den Leuten nicht, die Dich nur zu einer Nummer machen wollen, laß Dich nicht reduzieren auf Dein Tun, auf Deine kleinen Kreise, Deine Pflichten, Deine Arbeit, auch nicht Deine Familie oder Dein Volk, so kostbar und Deines Lebenseinsatzes würdig gerade die Familien- und Volksbande auch sind, gehören sie doch zum Gesetz der Horizontalen, in dem Du niemals ganz aufgehst. Werde Dir bewußt, daß da etwas in Dir ist, was Dich hinausheben will aus dem ganzen Hin und Her dieser Welt - etwas, das von Deinem Ursprung, von Deinem wahren Wesen kündet. Etwas, das Dich aufrichten will, in die Senkrechte stellen will, weil die Reduktion auf ein Herumkrebsen in der Horizontalen Dir Deine Würde raubt.

Wie kann man am Leben scheitern? Zum Beispiel wenn man sich ein falsches Bild von der Wirklichkeit macht. Wenn ich mir sage, daß dieser Knollenblätterpilz, der doch so schön und unschuldig da steht, gar nicht giftig sein kann - vielleicht weil ich nicht so böse und antipilzisch sein will, ihm so eine schlimme Wirkung zu unterstellen - dann habe ich ein falsches Bild von der Wirklichkeit, das mich umbringen kann. Die Welt ist nicht, wie ich gerne hätte, daß sie sei, ich kann sie mir auch nicht nach eigenem Gusto selbst erschaffen: die Klugheit gebietet es, daß ich die Welt genau betrachte und mir ein möglichst klares Bild von ihr mache. Das ist der Grund, warum der Prediger so viele Anschauungen (wie Atheismus, Feminismus, Zauberei und Götzendienst) auf seiner Liste hat. Im Detail kann man über die Liste streiten, der wesentliche Punkt ist aber - und das müßte man auch Nichtchristen begreiflich machen können - daß man durch irrige Anschauungen von der Wirklichkeit schlimmen Schaden nehmen kann, bis hin zum Scheitern am eigenen Leben.

Es gibt auch andere Arten zu scheitern. Man kann auch am Leben scheitern, wenn man vollständig in die Triebnatur absinkt. Der Mensch ist nicht bloß ein raffiniertes Tier – es sind ihm Auswege gegeben – aber er kann sich selbst zu einem solchen machen. Er wirft dann seine Freiheit weg, die immer notwendig die Freiheit zum Guten aus der Erkenntnis des Guten ist, und wird ein Sklave seiner Triebe, wird fremdbestimmt, statt aus dem eigenen Denken und sittlichen Empfinden heraus das richtige Handeln zu finden. Der Mensch kann sich so sehr in das Handeln nach den eigenen Wünschen und Begierden verstricken und einkapseln, daß sein Empfinden für das Göttliche, das Wesentliche, das wahre Sein, den wahren Schicksalsauftrag ganz verdunkelt wird.

All das ist gemeint, wenn Christen von Himmel und Hölle reden. Und warum es dem Prediger so ernst darum ist.

Veröffentlicht: Dienstag, den 30. Mai 2017