Rüdiger Plantiko

Zurück
In Diskussionen begegnet man häufig der These, was das am 29.6.2014 ausgerufene Kalifat des Islamischen Staates (IS) tue, habe mit dem Islam überhaupt nichts zu tun. Dies wird besonders von Politikern aller Herkunft vertreten – Obama und George W. Bush sind da derselben Meinung wie Putin – die um Moslems und islamische Staaten als Bündnispartner im Kampf gegen den IS werben. Auch viele Moslems, die im Westen leben und dessen Ideale von Zivilisation mehr verinnerlicht haben als ihren Koran, ihre Sunna und das Prophetenleben, stimmen darin überein, dass der IS eine grausame Karikatur, eine Verhöhnung ihres Glaubens darstelle.

Wenn man sich in islamische Kernländer im Nahen Osten begibt, fällt dieses Urteil schon anders aus. Nach einer Umfrage glauben 92% aller Saudi-Arabier, dass der Islamische Staat islamisch sei, die Werte des Islam repräsentiere und das islamische Recht einhalte.

Das ist kein besonders erstaunliches Ergebnis, wenn man die Rechtspraxis in Saudi-Arabien mit der des Islamischen Staates vergleicht:

Die grausamen Körperstrafen, vor allem die Todesstrafen, die der Islamische Staat in seinen Werbevideos malerisch in Szene setzt, oft mit den frommen Gesängen der Glaubensbrüdern unterlegt, sind 1:1 dem islamischen Scharia-Gesetz entnommen. Die meisten Strafen werden genauso auch in islamischen Ländern praktiziert – allerdings statt der Werbevideos und frommen Gesänge meist nur von dem Ruf "Allahu Akbar", Allah ist der grössere Gott, begleitet, oder von dem Zitat des Koranverses, mit dem die Strafe begründet wird.

Der Islamische Staat folgt dem Propheten Mohammed, der sagte (aufgeschrieben im Hadith al-Bukhari V1 B2 N 25):

Mir wurde durch Allah geboten, die Menschen zu bekämpfen bis sie bezeugen daß niemand außer Allah das Recht hat angebetet zu werden und daß Mohammed Allahs Gesandter ist. Wenn sie das bezeugen und auch die Gebete perfekt ausführen und die obligatorische Armengabe vornehmen können sie ihr Leben und ihren Besitz vor mir retten. Wenn sie aber gegen islamische Gesetze verstoßen wird das Allah in Seiner Endabrechnung auflisten.

Nun kommen sofort die Apologeten und sagen, ja, das ist ein Hadith, der gilt gar nicht. Es gilt nur, was im Koran steht. Obwohl alle vier sunnitischen Rechtsschulen die in den Hadithen niedergelegte Tradition hoch schätzen und speziell die Sammlung al-Bukhari allgemein als authentisch (Sahih) erachtet wird, bleibt festzuhalten: im Koran steht es aber auch. So steht in Sure 8, Vers 39:

Kämpft gegen sie, damit keine Verführung mehr stattfinden kann, bis sämtliche Verehrung auf Allah allein gerichtet ist.

Besonders in Zusammenhang mit den Tötungsgeboten gegen die Ungläubigen, etwa dem sogenannten Schwertvers Sure 9 Vers 5, stellt sich der Islam daher als eine klassische nach Weltherrschaft strebende Ideologie dar, in der Gewalt und Tötung legitime Mittel zur Ausbreitung sind:

Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf!

Nun kommen wieder die Apologeten und sagen: "Kontext beachten!" Diese Suren gelten nur im Krieg, das ist Kriegsrecht. Wir Moslems befinden uns zur Zeit aber nicht im Heiligen Krieg (Dschihad), daher gelten diese Verse nicht.

Aber alle vier sunnitischen Rechtsschulen sind sich darin einig, dass der Schwertvers 9.5 ("Tötet sie, wo immer ihr sie trefft") zur Ausbreitung des Islam universell gilt, zu jeder Zeit und an jedem Ort, und nicht nur im Kontext einer konkreten historischen Kriegshandlung.

Islamkundige wie Sabatina James, die Koran und Sunna in einer islamischen Madrassa intensiv studiert haben, können das aus den Quellen belegen. In diesem Video

kann man bei t=92 den Herrn Vogel "Kontext! Kontext!" rufen hören. Danach liefert Sabatina James aus den von ihm geforderten authentischen Quellen den gewünschten Nachweis, dass der Schwertvers auf der ganzen Erde und zu jeder Zeit gültig ist.

Nun kommen aber wieder die Apologeten, denn - man merkt schon - es kann nicht sein, was nicht sein darf, und wenden ein: Man könnte sich aus der Religion ein beliebiges Bild zimmern, indem man nur die passenden Verse auswähle, und überhaupt, auch in der Bibel stünden schlimme Dinge.

Der Einwand mit der Bibel ist für eine Diskussion über den Islamischen Staat nun wirklich out of context. Wir schenken ihn uns hier, denn eine Apologie des Christen- oder Judentums, beginnend mit der Frage, wie Christen und Juden das Göttliche und Menschliche in ihren religiösen Dokumenten einschätzen, wird an anderer Stelle geleistet.

Der Glaube jedoch, man könne sich aus den Glaubensdokumenten einfach dies und jenes herauspicken, was einem gefällt, passt ebenfalls nicht auf den Islam. Der Anspruch des Islam ist nämlich, dass sich alle Verse, auch die sich widersprechenden, nach einem Abrogation genannten Prinzip in eine konsistente, widerspruchsfreie Lehre einbauen lassen.

Das Abrogationsprinzip ist selbst auch im Koran hinterlegt: in Sure 2 Vers 106 heisst es:

Wenn wir einen Vers (aus dem Wortlaut der Offenbarung) tilgen [nansach] oder in Vergessenheit geraten lassen, bringen wir (dafür) einen besseren oder einen, der ihm gleich ist.

Das bedeutet: Wenn man zwei Verse hat, die sich scheinbar widersprechen, so hat der ältere nur eine historische Gültigkeit, gilt in einem bestimmten Kontext: es gilt dann der zeitlich später gegebene Vers, er hebt den älteren auf, "abrogiert ihn".

Das Ärgerliche ist nur, dass gerade die beim modernen westlichen Moslem so beliebten Verse, die zu Frieden und Toleranz aufrufen, aus der früheren mekkanischen Zeit Mohammeds stammen - bevor er in der Hedschra (622) nach Medina auszog und begann, auch militärisch seinen Glauben zu verbreiten. In einer eindrucksvollen Liste bei wikiislam kann man das sehen.

Der Islamische Staat, der als Kampforganisation zur Ausbreitung des Islam schon 2003 gegründet wurde, ist also als aus den authentischen Quellen des Islam schöpfende Kraft in sich ernstzunehmen. Er hat sich gemäss seinem eigenen Plan ausgebreitet: Wenn man sich den in einem Bericht aus dem Jahre 2005 niedergelegten Plan anschaut, muss man sagen: Bis zur fünften von sieben Phasen liegen sie mit erschreckender Präzision im Zeitplan. Der Plan enthält unter anderem auch den sogenannten Arabischen Frühling (geplant für 2010-2013), und die Errichtung eines Kalifats (geplant zwischen 2013 und 2016). Die beiden Phasen, die uns noch bevorstehen, heissen "totale Konfrontation" (ab 2016) und endgültiger weltweiter Sieg (geplant für ca. 2020).

Im Westen neigen wir dazu, solche Gruppen nicht ernstzunehmen, wir sehen sie irgendwie als wütende kleine Kinder oder Narren; wir sprechen ihnen damit das volle, reife Menschsein ab, wie es ein westlicher, zivilisierter Mensch allein habe. Eine solche Mentalität kommt entweder als reines Überlegenheitsdenken daher, oder in der obendrein noch verlogenen linken, bemutternden Form, dass wir diesen armen Menschen doch helfen müssten, ihr volles Menschsein zu finden (wie wir es hätten). Ich nehme diese Menschen dagegen genau gleich ernst wie ich unseresgleichen ernstnehme. Der Islamische Staat stellt eine viel grössere Bedrohung dar - nicht nur für die Länder des Nahen Ostens, sondern auch für die westliche Zivilisation - als es ein Assad jemals war. Die merkwürdige Fixierung der USA auf den Sturz Assads ist dieser Bedrohungslage nicht angemessen.

Veröffentlicht: Mittwoch, den 30. September 2015