Rüdiger Plantiko

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Vor über drei Jahren habe ich mich hier mit der Frage der einen Wahrheit befasst und erläutert, dass aus meiner Sicht die aus der Würde des Menschen abgeleiteten Naturrechte eine apriorische, logisch gesehen vor aller Kultur bestehende Gültigkeit haben - eben genauso wie eine mathematische Wahrheit.

Mittlerweile sehe ich die Notwendigkeit, mich hier etwas deutlicher zu erklären. Menschenwürde und Naturrechte sind ja in einer ganz speziellen Kultur - in der christlich-abendländischen - konkret ausformuliert worden und haben somit in ihrer heutigen Form ideengeschichtlich diese Kultur zur Voraussetzung. Zwar ist eine Idee ein geistiges Element und geht damit all ihren historischen Gestaltwerdungen voraus. Aber ein Recht als Idee (ein Recht, das mit uns geboren ist, wie es Goethe nannte) ist etwas ganz anderes als das positive Recht, das sich in einer Gesellschaft als Normen ihres Zusammenlebens herausbildet und damit vor allem eine politische, historisch gewachsene Entität darstellt. Wie verhält sich das Naturrecht zu dem in Verträgen und Gesetzen historisch Gestalt gewordenen Recht?

Auch wenn ich nichts davon zurückzunehmen habe, dass die Naturrechte, die uns als Mensch zustehen, universell gültig sind, muss ich, um Missverständnissen vorzubeugen, doch einige Ergänzungen machen:

  • Es ist modisch, den Kanon der Grundrechte beliebig aufzublähen und jede politische Forderung als Grund- oder Menschenrecht zu reklamieren, bis hin zum "Grundrecht auf Flachbildschirm". Die politischen Schreihälse, die auf diese Weise von Grundrechten sprechen, haben immer Anspruchsrechte im Sinn, die der moderne, den Vater der traditionellen Familie ersetzende und eliminierende Papistaat, auf Kosten der Allgemeinheit zu finanzieren habe. Die Grundrechte, die ich meine, sind dagegen nur gering an Zahl und von ihrer Natur allesamt Abwehrrechte: Individuelle Freiheit, Privatbesitz und Schutz vor Gewaltanwendung.
  • Die Naturrechte allein sind nicht etwa die Axiome, aus denen alles übrige Recht sich mit logischer Folgerichtigkeit herleiten liesse. Die Rechtsordnung einer Nation ist ein gewachsenes, vielfältiges, alle Lebensbereiche durchdringendes Geflecht und lässt sich in keinem Kulturkreis - auch nicht in unserem - aus einem einfachen Set von allgemeinen Regeln ableiten.
  • Auch wenn ich gewisse Rechte als universell gültig erkenne, so folgt, gerade weil wir es im gesellschaftlichen Leben mit dem positiven, in Gesetzen und Verträgen formulierten Recht zu tun haben, nicht der Anspruch, "Verletzungen von Naturrechten" überall auf der Welt mit Gewalt zu ahnden. Ich kann im eigenen Land, wenn es den Menschenrechten verpflichtet ist, versuchen, das gesetzte Recht nicht in Widerspruch zum Naturrecht geraten zu lassen. In anderen Ländern kann ich für die Menschenrechte werben - ich kann versuchen, die dort lebenden Menschen dazu zu bewegen, ihre Gesetze mit diesen Naturrechten kompatibel zu machen. Aber aus der Universalität der Menschenrechte folgt selbstverständlich nicht die Ermächtigung, mit Gewalt in allen Nationen dieser Erde eine bestimmte Rechtsordnung durchzusetzen.
  • Besondere Vorsicht ist hier geboten, als im Namen von universellen Menschenrechten Missbrauch getrieben werden kann. Eine Nation kann sich zum exklusiven Sachwalter der Menschenrechte erklären und damit bloss ihre eigenen nationalen Machtinteressen maskieren. "Wer Menschheit sagt, will betrügen", warnte einst zu Recht Carl Schmitt vor dieser Missbrauchsgefahr.
  • Dass eine Nation einen lebendigen, funktionierenden sozialen Organismus darstellt, der sich über den archaischen Zustand von Clanherrschaft und nacktem Recht des Stärkeren hinaushebt, ist immer Grund genug zum Staunen und Grund genug, sie zu achten. Sie durch eine auf der Idee der Menschenrechte aufgebauten Weltregierung ersetzen zu wollen, ist eine Hybris, die uns genau dem Gegenteil von dem zuführen wird, was sie zu erreichen vorgibt. Das ist wohl einer der grössten und gefährlichsten Missbräuche der Idee der Menschenrechte.
  • Gebietet es also die Achtung vor der gewachsenen Ordnung, das Nebeneinander von Kulturen - auch mit verschiedenen Rechtsnormen - zu respektieren, so ist es verheerend, ein solches Nebeneinander innerhalb einer einzelnen Nation (auch Multikulturalismus genannt) zu dulden oder gar zu fördern. In einem Haus kann es keine zwei Hausherren geben, das eigene und ein importiertes Recht. Ein Kulturrelativismus innerhalb einer Nation bringt die Zerstörung dieser Nation. Der Kulturrelativismus als ein Nebeneinander von Kulturen in verschiedenen Nationen ist dagegen lebbar.
  • Der einzige Universalismus, den ich den Menschenrechten zugestehe, ist ein geistiger, gilt den Menschenrechten als Idee, dem Menschen als Mensch. Dagegen ist ein praktisch-politischer Universalismus, im Sinne eines Kampfbegriffs, einer ideologischen Begleitmusik zu dem Versuch, mit militärischer Gewalt diese Menschenrechte in alle Winkel der Erde tragen, auf das Schärfste abzulehnen. Der Universalismus als politische Strategie bringt ebenfalls die Zerstörung der Nationen und damit der Grundlagen, auf der all unsere Freiheiten basieren.

Krieg gegen eine Nation zu führen mit der Begründung, "ihr die Menschenrechte zu bringen", ist also eine schlechte Idee. Es gibt sowieso keine übergeordnete Instanz (und kann keine geben), die einen Staat oder ein Staatenbündnis bei Anrufung zu einem Krieg ermächtigen könnte, indem sie etwa erklärt, dass der Krieg im konkreten Fall irgendwie "gerechtfertigt" wäre. Dennoch sind Kriege manchmal notwendig, z.B. zur Verteidigung der Existenz der eigenen Nation, oder aufgrund zwischenstaatlicher Verträge. Aber das ist ein anderes Thema.

Veröffentlicht: Montag, den 22. September 2014