Rüdiger Plantiko

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Zum Auftakt von Ramadan sandte Präsident Obama den amerikanischen Muslimen eine Grussbotschaft, in der es abschliessend heisst:
Times like this remind us of the lesson of all great faiths, including Islam — that we do unto others as we would have them do unto us.
Der Präsident erinnert uns also an die Goldene Regel, die allen Zuhörern aus dem jüdisch-christlichen Kulturkreis wohlvertraut, geradezu in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wunderbar schlicht formuliert, finden wir sie in der Bibel:
Alles nun, was ihr wollet, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen; das ist das Gesetz und die Propheten. (Mt 7,12)
Auch die Thora kennt die Goldene Regel – und betont sogar explizit, dass sie für Fremde ebenso wie für Einheimische gilt:
Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott. (Lev 19,34)
Stimmt es aber, was der Präsident sagt, dass diese Regel auch zu den zentralen Lehren des Islam gehört?

Während man in der Zentralschrift des Islam, dem Koran, nicht fündig wird, wird häufig eine Stelle aus den Hadithen, der Überlieferung, angeführt, die beim ersten Lesen so ähnlich klingt wie die Goldene Regel:

Der Prophet sagte: Niemand von euch hat den Glauben, der nicht seinem Bruder dasselbe wünscht, was er sich wünscht. (Bukhari 1.1.12)
Entscheidend ist hier aber die Einschränkung auf den Bruder, womit, wie auch sonst in den Hadithen, stets der Glaubensbruder gemeint ist, das Mitglied der Umma, der Gemeinschaft der Muslime. Für die Nichtgläubigen ist dagegen ein langer Katalog diskriminierender Massnahmen vorgesehen, von der Kopfsteuer (Jiziyah) über Beschlagnahmung seines Eigentums und Versklavung bis zur physischen Vernichtung.

Gerade durch dieses Einschränkung auf die Glaubensbrüder wird aber der wesentliche Punkt der Goldenen Regel verfehlt: Das Besondere an der Goldenen Regel ist ja gerade, dass sie universell gilt, für alle Menschen, Gläubige wie Nichtgläubige.

Veröffentlicht: Dienstag, den 2. August 2011