Rüdiger Plantiko

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Daß ich mich dieser Welt als schön erfreue, hat zwei Gründe:

Der eine ist, daß sie in allen ihren Erscheinungen Geheimnis und Zeichen ist. In der irdischen Welt zeigt sich überall etwas, was über sie hinausweist, und das macht sie schön. Der sanft durch ein Weizenfeld streichende Wind ist auch Zeichen für den Geist, den man selbst nicht sieht, aber dessen Wirkungen man sieht, wie er die Seelen bewegt. In alles, von den Blüten bis zu den Gestirnen, sind ewig schöne Urbilder der Geometrie hineingeheimnißt. Oder nehmen wir den Gesang der Vögel: er ist nicht nur eine rein irdische Angelegenheit des Geschlechtstriebes, das merkt jeder, der ihnen lauscht. Selbst nach rein irdischer Ansicht, aus Sicht der Biologen ist er übrigens ein Überschußphänomen: der Vogel signalisiert dem anderen Geschlecht, daß er Überschußkräfte hat und nicht mit der bloßen Aufrechterhaltung seiner eigenen leiblichen Existenz bereits voll ausgelastet ist. Man hört es ihm an! In seinem Gesang spiegelt sich Freude an der Existenz, Behagen an der Schöpfung, Lebenslust, ja in seiner unaufhörlichen Wiederholung ist er auch ein Bild des ewigen Hymnus der himmlischen Hierarchien auf ihren Schöpfer. Die Bäume des Waldes stehen da in jahrhundertealtem Ernst und in Würde, ihr ganzes Sein ist ein einziges Streben nach Licht, ihr Leben strebt nach oben: ganz oben, in schwindelnder Höhe, ist die Krone ihres Lebens, da ist es grün und lebendig, da sind sie zur Sonne hin gerichtet, die ihnen das Leben spendet (und diese selbst ist natürlich das größte aller Zeichen der Natur). Dem Wanderer aber erscheinen die Bäume wie die Säulen einer großen, heiligen Kathedrale.

Nur ist die Welt damit nicht hinreichend beschrieben, sonst wären wir schon im Paradies, wo “der Wolf beim Lamm wohnt und der Panther beim Böcklein liegt” (Jes 11:6). Es gibt in dieser Welt eben auch das Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens. In diese Welt haben Krankheit und Tod Einzug gehalten (was ich im Sinne einer ideellen, nicht materiellen Geschichte meine - lassen wir die Biologie und die rein irdische Betrachtungsweise einmal beiseite, sie führt hier vom Wesentlichen des Gedankens weg, der den Blick zum Geistigen, Nicht-Materiellen lenken will).

Selbst in der farbenprächtigen Schönheit einer Wiese spielen sich, wenn man genauer auf die Details schaut, brutale und dramatische Dinge ab. C. G. Jung, der Höhlenforscher in den dunklen menschlichen Seelenuntergründen, hatte sich selbst schon früh den Blick auf die Schönheit der Natur verboten, wie seine Autobiographie zeigt – so war ihm dieses Fressen und Gefressenwerden die eigentliche Offenbarung der Natur, der Mensch nur Spielobjekt eines an sich sadistischen Gottes, der dem Demiurgen der Gnostiker nahekam, und alles diesem Urteil Entgegenlaufende wies er als fromme Säuselworte von sich:

Er [Schopenhauer] sprach weder von einer allgütigen und allweisen Providenz der Schöpfung, noch von einer Harmonie des Gewordenen, sondern sagte deutlich, daß dem leidensvollen Ablauf der Menschheitsgeschichte und der Grausamkeit der Natur ein Fehler zugrundelag, nämlich die Blindheit des weltschaffenden Willens. Ich fand dies bestätigt durch meine frühen Beobachtungen von kranken und sterbenden Fischen, von räudigen Füchsen, erfrorenen und verhungerten Vögeln, von der erbarmungslosen Tragödie, die eine blumengeschmückte Wiese verbirgt: Regenwürmer, die von Ameisen zu Tode gequält werden, Insekten, die einander Stück für Stück auseinanderreißen usw. Aber auch meine Erfahrungen an Menschen hatten mich alles andere als den Glauben an ursprüngliche menschliche Güte und Sittlichkeit gelehrt. Ich kannte mich selber gut genug, um zu wissen, daß ich mich sozusagen nur graduell von einem Tier unterschied. [C.G.Jung: Erinnerungen, Träume, Gedanken, Olten 1971, S. 74]

Man kann sich sehr klug mit diesem scheinbaren Realismus vorkommen, und so herrlich nüchtern unter all diesen verrückten schwärmerischen Menschen. In Wahrheit ist die Haltung aber pathetisch und gewollt einseitig. So schlimm seine Erfahrungen mit seinen Mitmenschen auch immer gewesen sein mochten: man schlägt sich selbst aus reinem Eigenwillen ein Tor der Erkenntnis zu, wenn man nicht auch die Hingabebereitschaft und das natürliche Streben des Menschen nach dem Guten wahrnehmen will. Das ist besonders tragisch bei einem Mann, der mit einer hohen Begabung für die Wahrnehmung der schon nicht mehr rein sinnlichen Welt- und Seelenuntergründe ausgestattet war. Und wer diese Sehnsucht zum Ziel hin unbefangen zu erspüren sucht, mit schlichtem, offenem Gemüt, nicht vom Besserwisser-Zeitgeist erfasst, der kann nicht nur im Menschen, sondern auch in der gesamten Kreatur dieses "Harren" wahrnehmen. Ja, es ist wahr, diese Welt ist auch krank, aber in dieser Krankheit seufzt sie nach Erlösung durch “das Offenbarwerden der Söhne Gottes” (Röm 8:19):

ἡ γὰρ ἀποκαραδοκία τῆς κτίσεως τὴν ἀποκάλυψιν τῶν υἱῶν τοῦ θεοῦ ἀπεκδέχεται (denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes).

Da ist der zweite Grund für die Schönheit der Welt: sie trägt nicht nur die ursprüngliche Schönheit der Schöpfung wie einen Zauberhauch an sich, dieses “Wie sie ursprünglich gedacht war”. Sie trägt nicht nur das Signum ihres Ursprungs, sondern auch die Verheißung, oder besser “das ängstliche Harren” ihrer Vollendung in sich. Aus sich selbst heraus, ohne daß der Höchste sich in sie hineingeopfert hätte, würde die Welt im Irdischen auslaufen. Es gäbe keine Erneuerung der Kraft, kein “grünes Holz” mehr, sondern eine allmählich immer weiter fortschreitende Verstockung und Verholzung ihrer lebendigen Kräfte. Das ist die Sündenkrankheit, die zum Tode führt, unter der die gesamte Schöpfung leidet, und die durch die Opfertat des Gottmenschen geheilt wurde. Daher heißt es zu Recht, mit Christi Tod und Auferstehung hat die Endzeit begonnen. Auf dem Tiefpunkt der Menschheitsentwicklung, auf dem der Mensch Gefahr lief, völlig in seiner Sünde zu zergehen, wurde die Welt geistig imprägniert mit Christus selbst, mit seinem kostbaren Blut. Der Auferstehungsleib ist das Vorzeichen der zukünftigen Welterneuerung. Nun kommt es auf uns an, auf unser Ja oder Nein.

Es sind also zwei Aspekte - der Ursprung und das Ziel - der Dinge, worin sie über ihr offen sichtbares Sein selbst hinausweisen, hin zu ihrem wahren Wesen - wie es vom Urbeginn her gedacht ist und wie es in der Vollendung einmal werden soll.

Veröffentlicht: Samstag, den 15. April 2017